DPhV: Deutsche Rechtschreibung ist auch in Zeiten von KI nicht verhandelbar / Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ernst zu nehmen
Berlin, 30.4.2024 – Dieselbe Sprache zu sprechen ist – wörtlich wie sprichwörtlich – die Grundvoraussetzung für gegenseitiges Verständnis. Zu einer solchen einheitlichen Sprache gehört das geschriebene Wort ebenso wie das gesprochene. Einheitliche Regeln der Rechtschreibung stellen sicher, dass jeder das Kommunizierte verstehen kann, dass Missverständnisse vermieden werden und dass alle in gleicher Weise am Austausch teilnehmen können.
Mit größtem Unverständnis reagiert der Deutsche Philologenverband (DPhV) daher auf das Infragestellen der Bedeutung der deutschen Rechtschreibung und ihrer souveränen Beherrschung, vermittelt durch den Schulunterricht. DPhV-Bundevorsitzende Prof. Susanne Lin-Klitzing sagt: „Der Konsens über gemeinsame Rechtschreibregeln ist eine gewaltige Errungenschaft. Sie aus reiner Bequemlichkeit und aufgrund nur oberflächlicher Auseinandersetzung zu opfern, wäre unverantwortlich. Wenn wir uns nicht einmal auf gemeinsame Rechtschreibregeln einigen können, worauf wollen wir uns dann überhaupt noch einigen? Erst jüngst hat das Bundesverfassungsgericht die gesellschaftliche Bedeutung der Rechtschreibung hervorgehoben. Wir täten gut daran, dem Bundesverfassungsgericht zu folgen und nicht irgendwelchen Spontanimpulsen, wie beispielsweise denen vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann dazu. Eine Aufweichung der Bedeutsamkeit der Rechtschreibregeln für den Schulunterricht wäre ein fatales Signal für den Bildungsstandort Deutschland.“
In seinem Urteil vom 22. November 2023 zu Zeugnisbemerkungen hatte das Bundesverfassungsgericht u.a. festgestellt: „Die Aufgabe der schulischen Vermittlung von Rechtschreibregeln und deren Bewertung hat sich durch die Entwicklung selbstlernender Rechtschreibprogramme nicht überholt. (…) Zudem gibt es viele Berufe, in denen die Rechtschreibung nicht vollständig an Korrekturprogramme delegiert werden kann, sondern eine eigenständige orthografische Kompetenz notwendig ist. Die Beherrschung von Rechtschreibregeln ist vor allem auch notwendig, um Wörter in ihrer wiederkehrenden Gestalt schnell ganzheitlich und in ihrer richtigen Bedeutung erfassen zu können. Bei fehlender orthografischer Kompetenz ist die Lesefähigkeit hingegen eingeschränkt, weil die Wörter zunächst auf der ‚Einzelbuchstabenebene´ erschlossen werden müssen und es bei lautgleichen Wörtern zu Missverständnissen hinsichtlich ihrer Bedeutung kommen kann. Somit setzt die Fähigkeit zu störungsfreier Kommunikation auch die Beherrschung von Rechtschreibregeln voraus.“ (RN89)
Lin-Klitzing: „Das Bundesverfassungsgericht führt erfreulicherweise noch weiter aus, dass es deshalb naheliegend sei, ‚die Rechtschreibkompetenz zum Bestandteil der durch das Abitur vermittelten allgemeinen Hochschulreife zu machen. Damit trägt auch die Bewertung der Rechtschreibkenntnisse nach allgemeinen Kriterien dazu bei, einen chancengleichen Zugang der Abiturienten zu Ausbildung und Beruf zu ermöglichen. (RN 85).´ Die Beherrschung der deutschen Rechtschreibregeln ist aber natürlich nicht nur für das Abitur notwendig, sondern für alle Schulabschlüsse und sie sollte selbstverständlich im täglichen Gebrauch zum Ausdruck kommen. Denn sie schafft Verständlichkeit und Klarheit. Nicht zuletzt zeigt sie Respekt gegenüber den Rezipienten eines Textes und erleichtert auch die Kommunikation mit Nichtmuttersprachlern.“
Der von Kritikern des Erlernens von Rechtschreibregeln ins Feld geführten Argumentation, Schreibprogramme würden ohnehin alles korrigieren, entgegnet Lin-Klitzing: „Natürlich sind Korrekturprogramme ein hervorragendes Hilfsmittel. Aber um Hilfsmittel klug einzusetzen, muss ich einschätzen können, wie gut das von mir gewählte Hilfsmittel überhaupt ist. Auch im Jahr 2024 hat eine Zeitung, Zeitschrift oder Website, die sich nicht um die Regeln der deutschen Rechtschreibung kümmert, innerhalb von Sekunden ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Selbst wenn Sie mit einem KI-Chatbot sinnvoll kommunizieren wollen, müssen Sie sich auf gemeinsame Regeln festlegen. Eine Maschine, die keine korrekten Anweisungen bekommt, funktioniert nicht einwandfrei. Programmiersprachen zeichnen sich übrigens durch eine geradezu brutale Exaktheit und rigide Regeln aus. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum wir uns genau davon beim schriftlichen Gebrauch unserer Sprache verabschieden sollten.
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) ist die Dachorganisation der Philologenverbände der Bundesländer. Die Mitglieder sind Lehrkräfte an Gymnasien und anderen Bildungseinrichtungen, die zum Abitur führen, sowie Lehrbeauftragte an den Hochschulen, vornehmlich in der Lehrkräftebildung. Der Verband wurde 1903 in Halle gegründet und organisiert zurzeit 90.000 Einzelmitglieder in 15 Landesverbänden. Er unterstützt die Zusammenarbeit mit Lehrerverbänden im In- und Ausland und ist Mitglied im „dbb beamtenbund und tarifunion“ und im Deutschen Lehrerverband (DL).